Kannst Du bitte die Ziele der AG kurz umschreiben!
Die AG will genau dieses hehre Ziel der Inklusion ermöglichen, ohne gleich alle RC’s ebenerdig zu bauen bzw. deren Herausforderungen zu entschärfen.
Wir haben in diesem Sinne 5 Leitsätze formuliert:
- Ein RC ist nicht „barrierefrei“.
- Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen im RC ist interdisziplinär.
- Nicht für den Menschen mit Behinderung, sondern mit ihm.
- Technische Simplifizierung.
- Man kann einen „rollstuhlgeeigneten“ Seilgarten bauen: „behindertengerecht“ wird er erst durch die Ausbildung der Trainer.
Weiterhin befassen wir uns mit Sicherheitsstandards, da hier ganz neue Dinge auf uns zu kommen, wie z.B. das Einbinden eines Rollstuhls in die Sicherungskette, der Rollstuhlfahrer mit seinem Rolli auf der Station, bis hin zu dem Umstand der Teilnahme von Menschen mit einer wie auch immer gearteten Muskelschwäche.
Seit knapp einem Jahr gibt es einen rollstuhlgeeigneten Hochseilgarten mit mindestens 7 Stationen konkret für Rollstuhlfahrer (Bei entsprechender Variation hat dieser Seilgarten noch mehr für Rollstuhlfahrer nutzbare Stationen) plus Kletterwand und Netz mit Gewichtsreduzierungssystem. Dieser geniale Seilgarten steht in Rüthen (Kreis Soest) auf dem Gelände der DPSG und wird von der „Seilschaft Arnsberg“ (www.seilschaft-arnsberg.de) betrieben. Gebaut wurde er von ALEA. Beide Firmen sind Mitglieder in der ERCA-AG. Auf diesem Wege nochmals vielen Dank für dieses Wagnis und das Engagement aller Beteiligten die das ermöglicht haben.
Hier sollte man erwähnen, dass es seit vielen Jahren die Seilgarten in Much und in Mannheim gibt, die ebenfalls schon viel „Pionierarbeit“ geleistet haben. Sicherlich gibt es noch mehr „Pioniere“, von denen ich aber im Einzelnen nichts weiß
Mit diesen Seilgärten wird eine Riesentür für Menschen mit Behinderungen geöffnet.
Menschen mit Behinderungen in Hochseilgarten… um welche Menschen geht es eigentlich?
Wenn man über Menschen mit Behinderungen spricht, hat man ganz schnell einen Rollstuhlfahrer vor Augen. In Wirklichkeit ist die Betreuung eines sog. „Faltrollstuhlfahrers“ unser kleinstes Problem. Vielmehr geht es um die vielen anderen Behinderungsbilder, die in Ihrer Vielzahl und Komplexität sowie der adäquaten Umgangsweisen oder z.B. Kommunikationstechniken für den Laien nicht zu fassen sind.
Wir haben uns daher an eine eher phänomenologische, fähigkeitsorientierte (im GGs. zu einer defizitorientierten) Sichtweise entschieden und sind auch gerade dabei, ein für den Trainer im Seilgarten nutzbares Diagnosepapier zu entwickeln und zu prüfen. Wobei der Begriff „Diagnose“ hier eigentlich gänzlich unangebracht ist, weil er den gehandicapten Teilnehmer wiederum auf etwas reduziert. Und genau das wollen wir nicht.
Es gibt ja viel mehr Formen der Behinderungen als nur den Rollstuhlfahrer, zum Beispiel Menschen mit Muskelschwäche etc.. Wirft dieses für die Trainer vor Ort nicht schon aus sicherheitstechnischen Aspekten viele Fragen auf?
Die Sicherheitsstandards bei der Betreuung von Menschen mit Behinderungen müssen unter diesem Aspekt neu beleuchtet werden. Und man muss klar sagen: Da gibt es viel zu tun und zu beachten. Ein Mensch mit einer Muskelschwäche besonders im Hals-Wirbel-Bereich darf man (bis jetzt) nicht in den Gurt packen und aus seinem Rollstuhl holen. Alleine das Hochziehen im Flaschenzug ohne die stützende Funktion des Rollstuhls hätte katastrophale Auswirkungen auf seine Gesundheit. Wir würden in einem solchen Fall eine Hängematte an den Flaschenzug hängen und ihn dort hinein legen, um ihn zu schaukeln, wenn’s ihm gefällt oder ihn mit einer entsprechenden Kopfhalt(er)ung direkt mit seinem Falt-Rollstuhl ein wenig hochziehen. Alles aber nur im Niedrigseilbereich! Und selbst das kann schon sicherheitstechnisch „suboptimal“ sein.
Gibt es Grenzen in der Arbeit mit Behinderten im Hochseilgarten?
Eindeutig jain!
Grenzen liegen einerseits im körperlichen Fähigkeitsbereich. Z.B. wie oben beschrieben bei einer Muskelschwäche. Ein Mensch mit einem Querschnitt, der eine 100%ige Lähmung der Beine zur Folge hat, wird niemals eine Leiter hochklettern… allerdings kann er sich mit seinen Armen am Flaschenzug hochziehen… oder das tolle Teamerlebnis erleben, dass seine Gruppe ihm dabei hilft da hoch zu kommen… oder an einer Kletterwand (vielleicht mit einem Gegengewicht) nur mit den Armen zu klettern… oder… oder….
Andererseits gibt es Menschen mit Behinderung, die total panisch werden, sobald sie „den Kontakt zum Boden verlieren“. Bei Menschen mit Autismus z.B. kommt das häufig vor… Allerdings habe ich auch einen Autisten betreut, der bei mir einen Sicherungsschein gemacht hat. Jetzt will er unbedingt Sicherheitstrainer in unserem Hochseilgarten werden.
All diese Grenzen finden wir übrigens auch in der Gruppe der sog. Nicht-Behinderten. Klare Grenzen sind die eigenen Fähigkeiten: was mein Körper zu leisten vermag, welche psychische Belastung ich aushalte usw. . Aber das ist nicht unbedingt was „behindertentypisches“.
Grenzen in den Köpfen der sog. Nicht-Behinderten
Apropos typisch behindert: Eine Grenze ist wirklich da, nämlich die in den Köpfen der sog. Nicht-Behinderten: „Das schafft der doch nicht“. “Lass uns lieber mit dem Schwungtuch was machen“…
Diese Grenze muss weg und die kann auch weg!
Ist es für Dich in Ordnung, wenn man behinderte Menschen als „Behinderte“ bezeichnet? Oder ist dieser Sprachgebrauch problematisch?
Ich bin da ein bisschen „schmerzfrei“… Ich arbeite seit nunmehr fast 30 Jahre mit Menschen mit Behinderungen zusammen. Da gab es nicht wenige die sich selbst als „Krüppel“, „Hümpel“ oder „Behindi“ bezeichnet haben. Wir haben sogar mal einen Film gedreht in dem vier mittlerweile verstorbene Jungs mit Muskeldystrophie die Hauptrolle spielten. Der hieß „Muckis on Tour“
Ich glaube das ist vergleichbar mit dem Duzen und Siezen. Zu Beginn einer Beziehung ist ein „Sie“ angesagt. Das ist ein Respekt-Vorschuß.
Später kann da was anderes draus werden… wenn mein Gegenüber das will.
Was sind Deine persönlichen Erfahrungen mit behinderten Menschen im Seilgarten?
Seit der erlebnispädagogischen Arbeit in unserer Einrichtung habe ich für mich eine eigene Lebensphilosophie: „Im Leben öffnet sich so manche Türe, sofern man da hingeht“
Man muss Dinge ausprobieren, erst dann kann man sagen „geht nicht“.
Mir geht regelmäßig das Herz auf, wenn H. ihren Rollstuhl verlässt und die 8-Meter-Leiter hochklettert. Fertig wie ein Brötchen aber A B S O L U T glücklich. Oder ein junger Mann der schwerstbehindert ist, in allen Fähigkeitsbereichen 100%ig von anderen abhängig ist und nur seltenst positiv gestikuliert. Wenn der bei uns in der Rollischaukel schwingt, lächelt er…
Natürlich haben wir auch Teilnehmer, die nie wieder kommen, weil es einfach nicht ihr Ding ist. Aber die meisten kommen immer wieder. Jahr für Jahr und nach Jahren stellt man fest, dass derjenige es dann doch auf die High Bridge geschafft hat.
Das ist was, was man bei vielen Menschen mit Behinderungen mitbringen sollte: Zeit…
Frank, welches sind die kuriosesten oder lustigsten Geschichten, die DU in diesem Zusammenhang im Seilgarten erlebt hast? Ich bin so gespannt, was Du nun berichten kannst.
Das einzig Kuriose in unserem Seilgarten war das Gespräch mit dem Vertreter der Berufsgenossenschaft vor Inbetriebnahme unseres damals noch „Hochseil-Vor-gartens“. Er sagte: „Ich habe ja keine Ahnung davon, aber das sieht sch… aus“. Das hat mich ½ Jahr meines Lebens gekostet.
Bei der Arbeit mit unseren Teilnehmern im Seilgarten gibt es eigentlich nur schönes und Lustiges:
So wie U. in der Riesenschaukel einer Art abgeschwächten Giant Swing, den wir seinerzeit mobil aufgebaut hatten. Er hing und sagte: „Dat iss wie auf’m Klo hier“. Hätte man seine Körperhaltung vor Augen, wüsste man, warum er das so empfindet
Oder Ö.: Bei dem Versuch ihm sichern beizubringen, hatte er sich nur gemerkt, dass man nicht aufs Seil treten soll. Als ich ihn eines Tages während er sicherte darauf hinweisen wollte, dass sich das Bremsseil um sein Bein geschlungen hatte, lies er alles los, um es aufzuheben, es zu küssen und sich bei „ihm“ zu entschuldigen, denn das hatte er so von mir gelernt… Gut dass es den Nachsicherer gibt.
Wie gesagt: Schön ist immer wieder zu sehen wie z.B.
M. aus seinem Rolli steigt, um dann die Leiter hochzuklettern. Mit einem Ehrgeiz, der so manchem Nicht-Behinderten gut zu Gesicht stehen würde. Denn das muss eine Tortur sein, da er extremst spastische Beine hat, die ein Anwinkeln in die Höhe kaum zulassen und die pathologische Fußstellung mit den orthopädischen Schuhen kaum zwischen die Holme der Leiter passt.